Fast ein ganzes Jahrzehnt schon gibt es Kunstturnen im TuS Eintracht Wiesbaden und es hat sich in dieser Zeit sehr viel getan. Viele Meistertitel, ein festes Trainingsdomizil, hauptamtliche Trainer und viele interessierte Anfragen.
Von Lene Pedersen
Unser Ziel ist es, möglichst vielen Mädchen einen sportlichen Einstieg über das Kunstturnen zu ermöglichen und mit einer gut ausgebildeten, erfolgreichen Spitze die deutsche Turnszene zu bereichern. Was so leicht aussieht, ist jedoch das Ergebnis harter und konzentrierter Arbeit. Die Turnerinnen beginnen mit circa vier bis sechs Jahren und werden behutsam zum Leistungssport durch eine kindgerechte und entwicklungsgemäße Trainings- und Wettkampfgestaltung hingeführt. Diese Talentförderung ist eine individuelle Förderung des einzelnen sportlich begabten Kindes.
2012
Ohne Verein und Halle – so wurden wir Eintrachtler
Ende 2012 wurde die Turn-Talentschule Wiesbaden aus finanziellen Gründen vom damaligen Stammverein Turnerbund Wiesbaden aufgelöst. Für die begabten jungen Turnerinnen und ihre Trainerinnen Angela Göbel und Monika Heinisch-Göbel kam es aber nicht in Frage, ihren Traum vom Turnen aufzugeben. Der Auftritt bei der Turngala des Turngaus Süd-Nassau in 2012 war ihr vorerst letzter … so dachten sie. Hanne Schwerdtner, die davon erfahren hatte, ließ jedoch – mit ihrer großen Liebe für das Gerätturnen – die Truppe nicht im Stich und bot ihr die Mitgliedschaft beim TuS Eintracht Wiesbaden 1846 J.P. an, die alle mit großer Freude annahmen.
So wurde die Eintracht die neue turnerische Heimat der Kunstturnerinnen– leider zunächst ohne eine eigene Turnhalle mit feststehenden Wettkampfgeräten. Fast zwei Jahre lang arbeiteten Trainer, Eltern und Turnerinnen sehr hart, um ohne eine feste Halle im Training zu bleiben. Dafür pendelte die Truppe zwischen der Berghoffhalle und den Sporthallen der Blücherschule und der Martin-Niemöller-Schule in Wiesbaden. Ebenso wurden regelmäßig Fahrgemeinschaften zum Leistungszentrum Heusenstamm, Ingelheim und Saarland gebildet – und das vier bis fünf Mal pro Woche mit rund zehn Turnerinnen. Nur durch den großen Einsatz Aller gelang es überhaupt, das intensive Training aufrecht zu erhalten. Und er schuf eine ganz besondere Verbundenheit: „Diese immense Intensität und Nähe hat uns damals noch mehr zusammengeschweißt“, erinnert sich unsere Trainerin Monika Heinisch-Göbel. Die Freude und die Verbundenheit zwischen Trainerinnen, Turnerinnen, Eltern und allen Helferinnen sei „riesig“ gewesen und habe ein großes Stück dazu beigetragen, die Wettkampferfolge zu verteidigen und teilweise sogar noch zu steigern.
2013
Gründung des Fördervereins Kunstturnen Wiesbaden e.V.
Eine zielstrebige, wettkampforientierte und pädagogisch verantwortbare Talentförderung bedurfte damals – wie auch heute – erheblicher finanzieller Aufwendungen. So wurde schnell klar, dass ohne externe finanzielle Unterstützung und Manpower es nicht möglich sein würde, weiter voranzukommen und zu wachsen. Aus diesem Grund rief Patrick Lenz im November 2013 den Förderverein Kunstturnen Wiesbaden e. V. ins Leben, der sich um Sponsoren, Zuschüsse und Fördermöglichkeiten kümmern sowie bei der Verwaltung der Kunstturner die Eintracht unterstützen sollte.
Im Jahr 2013 zeigten unsere Turnerinnen bei verschiedenen Veranstaltungen wie unter anderem im Lilien-Carré in Wiesbaden, wie sehr sie ihren Sport lieben. Mit den Aktionen hoffte die Truppe, dem Ziel einer eigenen Gerätehalle und somit der Möglichkeit auf gesicherte Nachwuchsausbildung ein Stück näher zu kommen.
Trotz der widrigen Umstände glänzten unsere Turnerinnen in den folgenden Jahren bei etlichen Wettkämpfen mit mehreren hessischen Meistertiteln in den verschiedenen Altersklassen sowie mit mehreren überregionalen Einzel- und Mannschaftserfolgen. Oft ließen die Mädchen selbst Turnerinnen der großen Leistungszentren aus Frankfurt oder Limburg weit hinter sich.
2014
Doppelter Sprung in den Bundeskader
2014 schafften es sogar zwei unserer „neuen“ Eintrachtler Gwendolyn Lenz und Seyna N`Doye in den Bundeskader. Darauf waren wir alle mächtig stolz.
Der Wunsch nach einer konstanten Trainingshalle in Wiesbaden ging dann im Sommer 2014 endlich in Erfüllung – eine länger forcierte Kooperation mit der Elly-Heuss-Schule wurde verwirklicht. Durch den Neubau der Sporthalle am „Platz der Deutschen Einheit“ wurde die alte Schulturnhalle unserem Verein als dauerhafte Gerätehalle zur Verfügung gestellt. Ein Segen! Endlich verfügten wir damit über eine eigene Halle mit teilweise feststehenden Geräten wie Stufenbarren, Sprungtisch, Großtrampolin, Schwebebalken und Schlaufenreck sowie einer Tumblingbahn – das verbesserte unsere Trainingsqualität erheblich und senkte zugleich unseren Zeitaufwand: Autofahrten von bis zu einer Stunde Dauer fielen ebenso weg wie finanzielle Extra-Ausgaben für die Eltern durch Benzinkosten und diverse Hallenmieten. Endlich blieb Allen damit mehr Zeit und Ruhe, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Aufs Turnen. So konnte auch erstmals nach über zwei Jahren wieder Nachwuchs gesichtet werden. Das Kunstturnen bekam damit wieder eine Perspektive, nicht zuletzt, um sich abermals für eine Turn-Talentschule zu qualifizieren.
2017
Deutsche Jugendmeisterschaften in Berlin
2017 legten Anouk Almeida de Oliveira und Seyna N´Doye mit der Qualifizierung für die Deutschen Jugendmeisterschaften in Berlin dann direkt einen großartigen Start hin.
Nachdem wir über Jahre in der Halle die Trainingszeiten mit anderen Sportarten tageweise aufteilen mussten, wurde uns im Frühling 2017 dann endlich die komplette Halle der Elly-Heuss-Schule überlassen. Die städtische Halle wurde zu einer reinen Gerätehalle mit feststehenden Geräten umgebaut.
Das hätten wir ohne den finanziellen Einsatz der öffentlichen Gremien und Sponsoren nie geschafft. Damit wir die Hallenbedingungen eines Leistungszentrums erfüllen konnten, unterstützte uns der Hessische Turnverband (HTV) zusätzlich, indem er uns eine seiner Bodenflächen für die Halle lieh.
Nach einer monatelangen und schweißtreibenden Umbauphase konnten wir dann endlich am 23. November 2017 die Eröffnung unserer im neuen Glanz strahlenden Kunstturnhalle an der Elly-Heuss-Schule gebührend feiern. Zahlreiche geladene Gäste aus Politik, Verwaltung und Magistrat der Stadt Wiesbaden sowie Vertretern des Hessischen Turnverbandes und des Olympiastützpunktes Frankfurt folgten unserer Einladung um gemeinsam mit unseren Trainerinnen, privaten Förderern und den vielen engagierten Eltern unserer erfolgreichen Turnerinnen im stilvollen Rahmen die neue Halle einzuweihen.
Es war ein großer Erfolg, an dem sehr viele Menschen maßgeblich beteiligt waren. Wir waren dankbar und glücklich, unter nun nahezu optimalen Wettkampf-Bedingungen in unserer Landeshauptstadt Wiesbaden trainieren zu dürfen. Mit der fertigen Turnhalle und den zahlreichen Erfolgen unserer Turnerinnen wurden wir dann noch belohnt, indem wir offiziell zu einem weiteren Stützpunkt des Gerätturnens weiblich in Hessen ernannt wurden.
Mittlerweile waren unsere Leistungsträgerinnen Anouk Almeida de Oliveira, Seyna N´Doye und Gwendolyn Lenz zwölf Jahre alt. Die Bundesliga-Mannschaft der Eintracht Frankfurt war im Umbruch und freute sich über die erfolgreiche Unterstützung Wiesbadens in der Zweiten Bundesliga. Die Mannschaftswochenenden waren – und sind nach wie vor – eine beliebte Abwechslung für die Turnerinnen im täglichen Trainingsalltag.
Den bislang größten Turnerfolg unseres Stützpunktes erzielte 2018 Seyna N`Doye. Sie gewann die Silbermedaille am Stufenbarren bei den Deutschen Jugendmeisterschaften in Berlin. Seyna nahm auch am Finale am Sprung teil und erreichte im Mehrkampf einen bemerkenswerten fünften Platz. Es ist nicht alles möglich, aber doch vieles! Von der Wiesbadener Sportförderung (WISPO) wurde Seyna dafür gesondert geehrt.
Seit 2018 zählt nach einigen Unterbrechungen auch endlich wieder Ballett fest zum Trainingsplan unserer Kunstturnerinnen. Geleitet wird es von Veronica Villar, die unserem Team bereits seit 2012 angehört und durch ihre
professionelle und internationale Erfahrung die gymnastische und künstlerische Komponente des Kunstturnens bereichert.
2019
Ernennung zur Turn-Talentschule des DTB
Die Förderung des Leistungssports ist eine wichtige Aufgabe, um Turntalente national und international konkurrenzfähig zu machen. Umso mehr freuten wir uns 2019 das Prädikat „DTB Turn-Talentschule“ verliehen zu bekommen. Mit der flächendeckenden Einrichtung von DTB Turn-Talentschulen verfolgt der Deutsche Turnerbund das Ziel einer forcierten Grundlagenausbildung und professioneller Schulung des Turn-Nachwuchses im Olympischen Spitzensport. Hierzu gehören unter anderem auch eine entsprechende Qualifikation der Trainerinnen, einheitliche Trainingsinhalte und Wettkampfprogramme sowie regelmäßige Talentsichtung. Zudem werden mit der Vergabe des Prädikats „DTB Turn-Talentschule“ einheitliche Qualitätsstandards eingeführt und sichergestellt.
Um die Trainingsbedingungen in Wiesbaden weiter zu optimieren, konnten wir im selben Jahr mit Hilfe vieler öffentlicher und privater Spenden einen lang ersehnten Traum verwirklichen. Dank einer Investition von rund 40.000 Euro konnten wir unser in die Jahre gekommenes Bodenfeld durch einen Hochleistungsboden aus der Turn-Weltmeisterschaft 2019 in Stuttgart ersetzen.
Ende des Jahres verbuchten dann einige unserer Turnerinnen einen weiteren, großen Erfolg. Im Dezember flogen sie zu ihrem ersten internationalen Wettkampf nach Serbien. Acht von ihnen im Alter zwischen neun und 15 Jahren flogen mit drei Trainern zu einem internationalen Wettkampf nach Novi Sad. Mit einem ersten Platz und einem dritten Platz am Stufenbarren für Lilly Pöpperl und Anouk Almeida de Oliveira beendeten wir erfolgreich ein turbulentes Jahr 2019.
Leider sollte das folgende Jahr 2020 dann ganz anders verlaufen als geplant. Als für uns die neue Wettkampfsaison begann, war das Coronavirus bereits im Anmarsch. Nach langer und harter Vorbereitungszeit traten Anouk Almeida de Oliveria, Lilly Pöpperl und Alva Pedersen als erste unserer Turnerinnen noch bei dem Pre Olympic Youth Cup (POYC) an den Start. Lilly Pöpperl schaffte es zwar noch, sich für die Deutschen Jugendmeisterschaften (DJM) zu qualifizieren, aber zum Wettkampf auf Bundesebene kam es in diesem Jahr dann leider nicht mehr. Es mussten alle Wettkämpfe abgesagt werden.
Stattdessen folgte ein monatelanges Onlinetraining von zu Hause aus, das natürlich nicht vergleichbar war mit dem Leistungsturnen in der Halle. Erst im Sommer konnten die Turnerinnen vorübergehend wieder in der Halle an ihren Geräten trainieren. Es war für alle eine große Anstrengung, sich wieder annähernd in Wettkampfform zu bringen.
Im November mussten leider alle Turnerinnen abermals in den Lockdown und einzig unsere Kaderturnerinnen durften Dank eines Sondererlasses ab Dezember in reduzierten Trainingszeiten wieder in der Halle trainieren. Die Jüngsten sind seitdem noch immer im Onlinetraining und müssen sich stark motivieren, die Freude am Turnen nicht aus den Augen zu verlieren.
Wir hoffen, dass bis zum Sommer/Herbst wieder alles in relativ normale Bahnen gelenkt werden kann und unsere Turnerinnen bald wieder in regulären Trainingszeiten optimistisch auf neue Wettkämpfe und neue Herausforderungen hintrainieren können.